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Zeitlichkeit

Mauro Cabral Grinspan: Ich heiße Mauro Cabral Grinspan, ich bin aus Argentinien, und bin eine inter* und trans* Person. Ich glaube, dass der medizinische Umgang mit Intergeschlechtlichkeit, oder wie wir ihn erfahren, ein gewisses Trauma erzeugt für das Zeiterleben, bzw. dass das Erleben von Zeit traumatisch wird. Und dann wird es schwierig, aus bestimmten Zuständen wieder herauszukommen. An einem gewissen Punkt sind wir immer noch dort. Und wenn du Leuten dabei zuhörst, wie sie von traumatischen Erlebnissen erzählen – viele von uns sind immer noch dort.

Eliana Rubashkyn: Unser Schmerz sitzt sehr tief. Es ist ein sehr tiefer Schmerz. Weil, während andere Teile der Regenbogengemeinschaft feiern, dass sie frei in ihrer Sexualität und ihren Identitäten sind, ringen wir immer noch damit, mit dem klarzukommen, was uns passiert ist, oder überhaupt zu definieren, wer wir sind. Und in vielen Fällen haben wir noch nicht einmal Zeit, überhaupt aufzubauen oder zu entdecken, was unsere geschlechtliche Identität bzw. unsere Sexualität ist.

Mani Bruce Mitchell: Neulich abends haben wir bei einem Treffen darüber gesprochen. Die inter* Community ist richtig gut darin geworden, darüber zu sprechen, wer wir sind. Wie Obioma schon gesagt hat. Aber an dem Abend wurde etwas gesagt, und zwar: »Die Welt sagt, dass unsere verschiedenen Körper das Problem sind. Das ist nicht das Problem. Das Problem sind die Ärzt*innen und dann auch unsere Familien, die sich an unseren Körpern stoßen. Und das ist das eigentliche Problem, dass dieses pathologisierte medizinische Modell gemacht hat.« Damit müssen wir uns also befassen.

Eliana Rubashkyn: Und wir alle haben dieses Gefühl der Ungerechtigkeit, dieses tiefe Gefühl der Ungerechtigkeit, dass wir so etwas wie Menschen zweiter Klasse sind, aufgrund der Art, wie wir von allen behandelt werden. Also von vielleicht unseren Eltern, den Ärzt*innen, unseren Regierungen. Alle implizieren, dass wir eigentlich eine Art Bewunderung empfinden sollten. Weil Ärzt*innen diese Figuren sind, die von Leuten bewundert und respektiert werden. Und für uns sind sie Monster.

Crystal Hendricks: Ich würde sagen, es ist absolut nicht einfach, aber es ist auch wichtig, diese Vorstellung eines inter* Utopia, weil es das ist, was dich weitermachen lässt. Ich habe das Gefühl, in dem Raum, in dem wir uns befinden, haben wir es mit Leuten zu tun, denen ihre Menschenrechte komplett entzogen wurden. Und das ist etwas, mit dem wir als inter* Menschen konfrontiert sind, die Verletzung unseres Körpers, der Ausschluss aus unseren Communities, weil wir »so anders sind«, wie sie sagen. Auch die Auslöschung, denn wenn sie einer inter* Person eine Identität aussuchen, radiert das diese inter* Person völlig aus. Und wegen dieser Auslöschung, der Isolation, und auch der Mutilation, mit der inter* Personen konfrontiert sind, könnte es sehr schwer sein, auf die Zukunft zu blicken und zu sehen – okay, hoffentlich wird das einmal ein Ende haben. Es ist sehr schwer, sich das vorzustellen, aber ich habe auch das Gefühl: Wir müssen es uns vorstellen! Wir müssen. Wir müssen diese positive Perspektive haben. Weisst du, es gibt einen Weg für inter* Menschen, frei zu leben. Vielleicht nicht zu unseren Lebzeiten, aber in der nächsten Generation könnte es soweit sein, irgendwann werden inter* Personen in dieser Freiheit leben.

Mauro Cabral Grinspan: Manche von uns haben das Gefühl, dass ein Teil von uns in der Vergangenheit gestorben ist. Dann ist es wirklich schwer, sich vorzustellen »Was ist die Vergangenheit?« – wenn du tot bist – oder »Was ist die Gegenwart?«, oder »Was ist die Zukunft?«, »Wie sieht die Zukunft aus?«. Ich würde sagen: »Also, weisst du, innerlich bin ich tot, bzw. ein Teil von mir ist tot. Dieser Teil hat also keine Zukunft. Ich trage ihn bei mir, aber weisst du, er ist bereits tot.« Ja, also, tut mir leid, dass ich so ...

Luan Pertl: Nein, nein, nein!

Mauro Cabral Grinspan: Klingt so ... tragisch. Aber für mich als Aktivist* ist es meine Aufgabe zu versuchen, uns voranzubringen. Aber ich glaube, dass dies eine Bewegung ist, die vorankommt. Angetrieben von Menschen, die alle möglichen Probleme mit Zeitlichkeit und mit Zeit haben, und mit Leben und Tod und mit Dingen, die nicht repariert werden können, weisst du ...